Der NRW-Wirtschaftsblog
Klartext
im Westen

Energieland, Industrie- und Stahlland NRW – Quo vadis?

Von Dr.-Ing. Hans-Toni  Junius

Geschäftsführender Gesellschafter und bis Juli 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung der Waelzholz Gruppe, Vorsitzender des Vorstands BDI/BDA Mittelstandsausschuss

Als Energieland, Industrie- und Stahlland steht NRW vor großen Herausforderungen - der Unternehmer Dr. Hans-Toni Junius berichtet im Wirtschaftsblog.

Nordrhein-Westfalen hat, ausgehend von seinen Energieträgern Steinkohle und Braunkohle sowie unterschiedlichen Bodenschätzen - darunter verschiedene Gesteinsarten und auch Salz, über viele Jahre eine Wertschöpfungsbasis durch das angekoppelte Industrie- und Logistiknetzwerk geschaffen. Dieses bildet ein Fundament für den Wohlstand in der Bundesrepublik Deutschland. Um diese Wertschöpfungscluster hat sich ein regionales, bundesweites, aber auch europäisches Netzwerk entwickelt. Das Wirtschafts- und Wertschöpfungsnetz in NRW hat eine hohe Leistungsfähigkeit, schafft immer wieder neue Arbeitsplätze, beweist Innovationskraft und hat sich an geänderte Rahmenbedingungen stets anpassen können.

Nun stehen neue und altbekannte Herausforderungen an:

  • Energiewende
  • Klimawandel
  • Digitalisierung
  • Transformation der Automobilindustrie

Die industriellen Strukturen in NRW stehen in den nächsten 10 bis 15 Jahren vor tiefgreifenden Veränderungen. Diese können bewältigt werden. Dies jedoch nur, wenn sie mit Bedacht gemanagt und in kleinen, verkraftbaren Schritten vollzogen werden. Bildlich gesprochen: „Den Mount Everest kann man auch nur in vielen Etappen besteigen.“

Eine Politik des „Mainstream“, die jeder öffentlichen oder gesellschaftlichen Initiative gerecht werden will, kann diesen bedeutenden Veränderungsprozessen schaden. Demonstrationen und Initiativen haben in einer lebendigen Demokratie unbedingt Berechtigung. Es ist jedoch Aufgabe der Politik, das Machbare im Auge zu behalten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht zu gefährden. Entschlossenes und vereintes Handeln ist notwendig, Aktionismus jedoch fehl am Platz.

Die industrielle Wirtschaftsleistung in NRW wird insbesondere von mittelständischen Unternehmen getragen. Was bedeuten also die vorgenannten Trends für den Mittelstand? Was bedeuten sie für uns als Mittelständler in der Metallverarbeitung?

WAELZHOLZ
Unser Unternehmen Waelzholz arbeitet im 192. Jahr seines Bestehens. In dieser langen Unternehmensgeschichte haben wir schon sehr viele Krisen und auch viele Marktveränderungen erlebt.  Mit Sorgfalt, Fachkenntnis und Tüchtigkeit – und mit dem notwenigen Quäntchen Glück – hat die jeweilige Mannschaft die Veränderungen ihrer Zeit stets als Chance nutzen können.

Wir haben Bandstähle für die unterschiedlichsten Anwendungen hergestellt: früher für Krinolinen und Fahrradteile, heute für Elektroantriebe, Windräder, Flexi-Hundeleinen oder etwa für den Thermomix. Auch unsere Werkstoffe, Prozesse und Arbeitsplätze wandeln sich mit, und damit auch unsere Anforderungen an Infrastruktur: in Bezug auf die bereitzustellende Energie, den Zugriff auf digitale Netze und auch im Bereich der akademischen Bildung und der Forschungseinrichtungen.

So erleben wir in unserem „Waelzholz Mikrokosmos“ die Veränderungen des Landes und der Gesellschaft intensiv mit und wollen diesen Wandel gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unseren Nachwuchskräften und 100 Auszubildenden mitgestalten.

Politik
Beschleunigt durch die noch lange nicht bewältigte Corona-Pandemie, stehen viele Industriebereiche im Wertschöpfungsnetzwerk vor großen Herausforderungen.

Klimawandel
Über allem steht das Thema Klimawandel und die notwendige Reduzierung bzw. komplette Vermeidung der Emission von Klimagasen, nicht nur in den privaten Haushalten und im Verkehr, sondern auch in der industriellen Fertigung. Die EU setzt das Pariser Klimaabkommen um und treibt den Green Deal voran, der bis 2030 eine erhebliche Reduzierung der Emission von Klimagasen vorsieht und bis 2050 für ein CO2-freies Europa sorgen soll. Deutschland führt mit dem BEHG im politischen Alleingang ab 2021 eine Abgabe für die Emission von CO2 aus fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas ein.

Bislang wird in Deutschland zwar schon 50 % des Strombedarfes aus regenerativen Energiequellen gespeist, jedoch können nur 10 bis 12 % des Primärenergiebedarfes in Deutschland, der für die Berechnung der CO2 Emission herangezogen wird, regenerativ erzeugt werden.  Die zu schließende Energielücke ist also immens groß. Diese Gemengelage ist gefährlich. Die Wettbewerbsfähigkeit des Industrielandes Deutschland und insbesondere die industrielle Basis in NRW sind in Gefahr.

Automobilzulieferindustrie
Die Automobilindustrie und das Netzwerk der Zulieferer sind ein wesentlicher Bestandteil der Industrie in NRW. Ein Drittel aller deutschen Automobilzulieferbetriebe sind in NRW angesiedelt, und sie sind in vollem Umfang von diesem Wandel betroffen. Die Branche gliedert sich in wenige große und viele mittelständische Unternehmen, die einen wichtigen Beitrag zum Erhalt und zur Entwicklung eines stabilen und innovativen Rückgrats unserer Wirtschaft leisten.

Die Branche befindet sich in der Transformation vom Verbrennungsmotor zu elektrisch unterstützten oder vollständig elektrischen Antriebsystemen. Aktuell wird vor allem in Richtung batterie-elektrisch entwickelt, die Brennstoffzelle wird aber sicher auch ihren Platz bei künftigen Antriebssystemen für Nutzfahrzeuge finden.

"Nur mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens und der Anstrengung aller Beteiligten wird es möglich sein, diese Transformation erfolgreich zu bewerkstelligen."

Stahlindustrie
Ein wichtiger Bestandteil dieses Wertschöpfungsnetzwerkes „Auto“ ist die Stahlerzeugung und -verarbeitung. Aktuell, und nach meiner Einschätzung auch zukünftig, gibt es weder für die Fahrzeugstruktur noch für Antriebssysteme wettbewerbsfähige Alternativen zum Stahlwerkstoff. Dies gilt sowohl für Automobile mit klassischem Verbrennungsmotor als auch für BEVs oder Hybride.

Die Erzeugung und Verarbeitung von Stahl ist aufgrund der erforderlichen Prozesswärme mit sehr hohem Energieeinsatz verbunden. In der Stahlerzeugung werden überwiegend Kohle, Gas und Strom als Energieträger in den Verarbeitungsprozessen eingesetzt. Aktuell resultiert hieraus, laut Umweltbundesamt, ein Anteil von 6,4 % an den gesamten CO2 Emissionen der Bundesrepublik Deutschland.

H2-Strategie
Um diese Emissionen langfristig zu vermeiden wird die Stahlerzeugung favorisiert, bei der die Reduktion mittels Wasserstoff und die nachfolgende Erschmelzung und Legierung mittels Strom erfolgen. Der benötigte Strom soll vorrangig CO2-frei erzeugt werden. Auch für die Stahlweiterverarbeitung muss statt dem heutigen Erdgas künftig H2 und für die elektrischen Prozesse CO2-frei erzeugter Strom zum Einsatz gebracht werden. Dieses skizziert die enormen Aufgaben, vor denen die Industrie in NRW steht.

Internationaler Wettbewerb
Die Industrie in NRW arbeitet in einem internationalen Verbund und ist sehr exportintensiv. 47 % (IHK Köln, Jahresbericht 2019) der Industrieprodukte werden exportiert.

Hohe Zusatzkosten werden die internationale Wettbewerbsfähigkeit einschränken, und es ist bislang nicht zu erkennen, dass trotz internationaler Klimaabkommen ähnliche Strukturprogramme wie der Green Deal der EU in den großen Industrieregionen der Welt, in Asien oder in den USA, aufgelegt oder gar umgesetzt würden.

Politische Forderungen nach sogenanntem Carbon Border Adjustment, also Zölle/Steuern auf die CO2-Belastung für importierte Produkte, zur Vermeidung der sogenannten Carbon Leakage (Import von CO2-Belastung aus anderen Weltregionen) hören sich zunächst plausibel an, sind aber in voller Breite für eine Exportnation nicht umsetzbar.

Energieintensive Branchen wie das Wertschöpfungsnetzwerk „Stahl“ haben eine große Bedeutung für NRW. Fast die Hälfte aller 5.200 deutschen, meist mittelständischen Betriebe der Stahl- und Metallverarbeitung produzieren hier. Diese dürfen im internationalen Wettbewerb durch hohe und einseitige Kostenbelastungen nicht benachteiligt werden. Kluge politische Entscheidungen müssen die notwendigen Veränderungsprozesse begleiten und innovative technische Lösungen unterstützen.

Derzeit ist es leichter, einen sozialen und politischen Konsens für die Notwendigkeit des Klimaschutzes herzustellen, als den Menschen die damit verbundenen tiefgreifenden Veränderungen ihres Lebens, Verhaltens und Wohlstands zu erklären. Genau dies wird jedoch Aufgabe aller Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung sein.

Wir alle werden in NRW auf der Bühne von außerordentlichen Veränderungen stehen.

Fazit

  • Stahl ist und bleibt der industrielle Werkstoff der Zukunft, mit der Klimawende mehr denn je. Er nimmt eine Schlüsselfunktion für die Wertschöpfungsketten in Nordrhein-Westfalen ein.
  • Klimaschutz und Klimawandel sind wichtige Themen in der Bevölkerung und treiben damit auch die Politik.
    Ein ausgewogener Weg, ökologisch richtig, sozial verträglich und wirtschaftlich möglich, muss —gesellschaftlich akzeptiert— gefunden werden.
  • Die Transformation der Automobilindustrie wird weiter voranschreiten und das Fahrzeugportfolio grundlegend verändern. Die eingesetzten Werkstoffe werden bleiben. Elektromotoren, die künftig in sehr vielen Fahrzeugen verbaut werden, werden auch in 30 Jahren noch aus Stahl bestehen.
  • Die Wertschöpfungsnetzwerke, die in NRW bestehen und darüber hinaus Deutschland und Europa verknüpfen, bieten beste Voraussetzungen, den Wandel innovativ mitzugestalten.
    Gerade die mittelständische Industrie verfügt über das Know-how und die Flexibilität im internationalen Wettbewerb zu bestehen, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt sind.
  • Chancen, insbesondere in NRW, können sich durch neue Allianzen und Geschäftsmodelle für die Erzeugung von Wasserstoff ergeben, aus Solarstrom oder Windenergie, durch Elektrolyse oder durch Pyrolyse unter Verwendung des anfallenden festen Kohlenstoffs.

Die neuen Geschäftsmodelle und deren industrielle Umsetzung müssen die Arbeitsplätze und den Wohlstand in NRW sichern und können zugleich wichtige europäische und internationale Impulse setzen. Die erforderlichen Umstellungsprozesse verursachen einen gigantischen Investitionsbedarf, der allein von der privaten Industrie nicht geleistet werden kann. Auch die Politik kann mit staatswirtschaftlichen Investitionen diese Veränderung nicht erfolgreich stemmen, wie wir aus der Geschichte lernen.

Nur mit einem breiten gesellschaftlichen Konsens und der Anstrengung aller Beteiligten wird es möglich sein, diese Transformation erfolgreich zu bewerkstelligen.

Über den Autor
Dr.-Ing. Hans-Toni Junius

Geschäftsführender Gesellschafter und bis Juli 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung der Waelzholz Gruppe, Vorsitzender des Vorstands BDI/BDA Mittelstandsausschuss

Zum Autor