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aus NRW

Der deutsche Mittelstand im Zangengriff von China und den USA?

Gemeinsamer FAZ-Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Welter und Arndt G. Kirchhoff.

Ein zunehmender geopolitischer Konfrontationskurs, der wiederauflebende Protektionismus in vielen Teilen der Welt, dazu ein wirtschafts- und handelspolitisch erratisch agierender US-Präsident: Das regelbasierte Welthandelssystem, wie wir es kannten, ist massiv bedroht – mit weitreichenden Folgen für unser Land. Denn wie kaum eine andere Volkswirtschaft ist Deutschland als exportorientierte Industrienation von dieser Entwicklung besonders betroffen. Gerade unsere Unternehmen sind in die globalen Wertschöpfungsketten stark eingebunden – sowohl auf ihrer Beschaffungs- als auch auf ihrer Absatzseite.

Zahlen des Internationalen Währungsfonds belegen das: Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung lag in Deutschland im Jahr 2023 die Summe aus Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen nicht nur über dem Niveau der anderen führenden europäischen Volkswirtschaften, sondern auch über dem Level von Japan, China und den USA. Somit trifft der drohende Zerfall internationaler Kooperationen und multilateraler Strukturen hierzulande nicht nur Konzerne, sondern auch den international ausgerichteten industriellen Mittelstand als Teil der globalen Wertschöpfungsketten.

Beispiel China: Als weltweit größter Produzent von Magnesium, Germanium, Graphit und Seltenen Erden ist China als Beschaffungsmarkt für deutsche Unternehmen von zentraler Bedeutung. Weil China aber in den letzten Jahren zunehmend Rohstoffe als politisches Druckmittel einsetzt, hat der deutsche industrielle Mittelstand reagiert: Einer Umfrage des IfM Bonn zufolge gaben dessen Führungskräfte an, nun andere asiatische Staaten als Alternative zu China zu prüfen. 

Überdies zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes, dass aus Gründen der Resilienz auch der Außenhandel mit den USA zunächst bis zum Januar 2025 erkennbar an Bedeutung gewonnen hatte – unter der Annahme, eine Reduzierung ihrer chinesischen Abhängigkeiten müsse doch im gemeinsamen Interesse Westeuropas und der USA liegen. Doch ist jetzt durch Trumps unkalkulierbare Handelspolitik alles anders? Befindet sich der industrielle Mittelstand quasi im Zangengriff Chinas und der USA? Ist er gar in seiner Existenz gefährdet? 

So schlimm wird es nicht kommen. Dagegen sprechen die vielfach engen und langjährigen Kundenbeziehungen, die viele deutsche Mittelständler sowohl in China als auch in den USA aufgebaut haben. Das innovative und oft spezialisierte Produktportfolio dürfte in den Zielländern nicht so einfach zu ersetzen sein. Diese Unternehmen werden in der Lage sein, die Herausforderungen zu meistern und hohe US-Zölle an die Kunden abzuwälzen. Für den industriellen Mittelstand heißt das: Innovativ bleiben und sich von Massenware abheben. Er muss sich auf seine Stärke und Fähigkeit besinnen, Gutes noch besser zu machen und neue Ideen in neue Geschäftsfelder umzuwandeln. Das Potenzial dafür ist zweifellos vorhanden.

Selbst in der Androhung Chinas, den Export bestimmter Rohstoffe massiv einzuschränken, kann für den deutschen und europäischen Mittelstand auch eine große Chance liegen – etwa in der Kreislaufwirtschaft. Eine Untersuchung des IfM Bonn zeigt, dass in den produzierenden Sektoren wie etwa der metallverarbeitenden Industrie, dem Bausektor, der Möbelindustrie sowie in Sektoren, in denen viel mit recyclingfähigen Materialien gearbeitet wird, inzwischen ein starkes Bewusstsein etwa für die Potenziale der Kreislaufwirtschaft vorhanden ist. Und denken wir an kollaborative Innovationen: Immer häufiger erleben wir auch in anderen Bereichen, dass selbst konkurrierende Unternehmen zusammen mit Forschungseinrichtungen, Start-Ups, Kunden und Lieferanten über organisatorische Grenzen hinweg kooperieren, um gemeinsam neue Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle oder Technologien zu entwickeln. Das stimmt optimistisch.

Vor allem aber sollten wir die Potenziale Europas noch besser entfalten. Der EU-Binnenmarkt bleibt wichtigster Beschaffungs- und Absatzmarkt für unsere mittelständischen Unternehmen. Mit seiner hohen Rechtssicherheit und seinen verlässlichen politischen Rahmenbedingungen ist die EU der starke Gegenpol einer sich immer multipolarer entwickelnden Weltwirtschaft. Jetzt ist die Stunde, um Europa politisch zu stärken und wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu machen. Die EU-Kommission hat hier zuletzt erste ermutigende Ansätze zum Bürokratieabbau oder den Clean Industrial Deal vorgelegt. Wichtig ist gleichzeitig, jetzt die Handelsbeziehungen auch mit anderen Regionen der Welt auszuweiten. Freihandelsabkommen wie etwa mit den Mercosur-Staaten sind hier ein wichtiger Schritt. Dem müssen weitere folgen – etwa mit Indien. Vielleicht ist es auch die Zeit für neue Ansätze. Denkbar wären sektorspezifische Handelsabkommen sowie eine neue Balance zwischen Nachhaltigkeitsanforderungen und Wirtschaftsinteressen. Diese Chance – innerhalb des Binnenmarktes wie nach außen zu Drittländern – darf sich Europa nicht entgehen lassen.

 

Der gemeinsame Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Welter, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn und Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insb. Management kleiner und mittlerer Unternehmen und Entrepreneurship, an der Universität Siegen, und Arndt G. Kirchhoff, Präsident unternehmer nrw, erschien am 23. Juli 2025 in der Print-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.