Die NRW-Unternehmensverbände haben bei einem Spitzengespräch mit Vertretern der wichtigsten Branchenverbände der Industrie die Politik aufgefordert, angesichts der längsten Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen. Noch schlage das industrielle Herz Deutschlands zwar in Nordrhein-Westfalen, allerdings gerate es inzwischen mit Blick auf die zunehmend dramatischen Meldungen über Produktionsverlagerungen, Unternehmensschließungen und Arbeitsplatzabbau immer mehr aus dem Takt. „Nicht die Krise selbst, sondern die Illusion, ein ‚Weiter so‘ wäre möglich, ist die größte Gefahr. Unser Industriestandort hat keine Zeit mehr zu verlieren“, betonte der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen (unternehmer nrw), Arndt G. Kirchhoff, am Mittwochabend in Düsseldorf in Anwesenheit des Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes NRW und Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski MdL. In einer dabei vorgelegten ‚Düsseldorfer Erklärung‘ betonen die nordrhein-westfälischen Unternehmer, dass jetzt insbesondere die Politik in Brüssel und Berlin in der Pflicht stehe, zentrale Weichenstellungen zur Sicherung des Industriestandorts vorzunehmen.
Große Chancen und Potenziale für neues Wachstum lägen in einer konsequenten Vollendung des EU-Binnenmarktes. Ein einheitlicher digitaler Binnenmarkt, die Abkehr von der Behinderung der Arbeitnehmermobilität, die Schaffung eines Energiebinnenmarktes, eine besser abgestimmte Infrastrukturpolitik sowie die Verwirklichung der Banken- und Kapitalmarktunion könnten in der Summe die dringend erforderliche Dynamik entfachen. Damit würde Europa auch viel mehr Resilienz und Unabhängigkeit gegenüber anderen Regionen der Welt erreichen. „Machen wir uns bewusst: Europa kann seinen Wohlstand aus eigener Kraft stärken“, sagte Kirchhoff.
Grundvoraussetzung für die Sicherung der industriellen Basis sei die weitere Senkung der Energiekosten. Die bislang erzielten Erleichterungen reichten hierfür bei weitem nicht aus. Die Bundesregierung forderte Kirchhoff auf, zu ihrem Wort zu stehen und den angekündigten Industriestrompreis Anfang 2026 einzuführen. Dies sei für alle energieintensiven Industrien bis tief in den Mittelstand hinein unabdingbar notwendig. „Um es klar zu sagen: Weder das bestehende Beihilferecht noch die vom Bund bis 2028 geplanten 3,1 Milliarden Euro genügen, um die Industrie im erforderlichen Umfang zu entlasten“, erklärte Kirchhoff. Werde hier nicht massiv nachgebessert, drohe Nordrhein-Westfalen der Verlust wichtiger Glieder seiner industriellen Wertschöpfungsketten mit massiven Folgen für Wohlstand und Arbeitsplätze.
Der NRW-Unternehmerpräsident mahnte zudem deutliche Korrekturen am EU-Emission Trading System (ETS) an, um der Industrie im globalen Wettbewerb wieder ein Level-Playing-Field zu verschaffen. Zwar sei der Emissionshandel das beste marktwirtschaftliche Instrument zur Erreichung der Pariser Klimaziele, in seiner derzeitigen Ausgestaltung verteuere er aber die Produktion, beschleunige Verlagerungen von Industrieanlagen in andere Teile der Welt und gefährde damit Wohlstand, Beschäftigung und am Ende aus globaler Perspektive auch den Klimaschutz.
Mit Blick auf die in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens stark sanierungsbedürftige Infrastruktur warnte Kirchhoff Bund, Land und Kommunen davor, Mittel des Sondervermögens zweckzuentfremden und stattdessen für das Stopfen von Haushaltslöchern oder zusätzliche konsumtive Ausgaben des Staates zu verwenden. Leistungsfähige Straßen, Wasser- und Schienenwege, Pipelines sowie digitale Netze seien die Lebensadern eines jeden Industriestandorts. Kirchhoff forderte die Politik auf, zwingend auch die Wasserstraßen in das Sondervermögen aufzunehmen. „Schleusen, Kanäle und Hafenanlagen in NRW funken seit langem Mayday“, sagte er.
Grundlegende Strukturreformen mahnten die nordrhein-westfälischen Unternehmer auch in den sozialen Sicherungsystemen an. Ohne deutliche Korrekturen drohten die Lohnzusatzkosten Mitte der 2030er Jahre auf mehr als 50 Prozent anzusteigen und dann gerade für die Industrie endgültig zu einer Produktions- und Beschäftigungsbremse zu werden.
Positive Impulse müsse zudem eine konsequent auf Innovationen und Investitionen ausgerichtete Gesamtagenda setzen. Technische Innovationssprünge, hohe private Investitionen in neue Produkte und Verfahren, Qualifizierung der Beschäftigten, industrielle KI sowie die Stärkung des Wissenstransfers seien zentrale Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit. All dies müsse einhergehen mit einem umfassenden und vor allem unverzüglichen Bürokratieabbau. „Ankündigungen hierzu haben wir von allen politischen Ebenen genug gehört, unsere Unternehmen erwarten jetzt Entscheidungen mit sofortigen Entlastungen, die auch endlich bei ihnen ankommen“, erklärte Kirchhoff.

